Jeder Mensch kann seine Träume verwirklichen und ein finanziell erfolgreiches Leben führen, wenn er nur hart genug dafür arbeitet – so zumindest lautet das Versprechen der freien Marktwirtschaft. In der Realität schaffen es immer weniger Menschen, durch ihre eigene Leistung den Wohlstand zu erarbeiten, den sie sich wünschen. Anderen wiederum ist genug Vermögen in die Wiege gelegt, um selbstbestimmt die eigenen Ziele zu verwirklichen.
Nun werden immer häufiger Stimmen laut, die von einer Spaltung der Gesellschaft sprechen, an der unser Erbrecht eine Mitschuld trägt.Die Deutschen sind bekannt dafür, nicht über Geld zu sprechen. Noch weniger als über Gehälter wird in Deutschland über das Erben gesprochen, denn es ist mit Verlust und Trauer verbunden. Doch eine gesellschaftliche Debatte wird bald unumgänglich, denn die Summen, die jedes Jahr in Form von Erbschaften den Eigentümer wechseln, vergrößern das schon bestehende finanzielle Ungleichgewicht. Berichten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts zufolge werden in Deutschland jährlich rund 400 Milliarden Euro vererbt. Zum Vergleich: der Bundeshaushalt beträgt im Jahr 2023 etwa 476 Milliarden Euro.
Diese enorme Summe wird dabei nicht gleichmäßig verteilt – ganz im Gegenteil: die Mehrheit der Bevölkerung erbt nur sehr geringe Beträge oder gar nichts. Wer hingegen zu der Minderheit gehört, die verhältnismäßig viel erbt, für den ist es auch in Zukunft ein Leichtes, das eigene Vermögen immer weiter zu steigern. Während die meisten Menschen es sich bei den aktuellen Immobilienpreisen nicht mehr leisten können, ein Eigenheim zu finanzieren, erben andere Immobilien und können mit dem geerbten Vermögen weitere Investitionen tätigen.
Einer der Grundgedanken des deutschen Erbrechts ist es, durch das Erbe die Generationengerechtigkeit zu fördern, indem für die Abkömmlinge eines Erblassers die Bürde gemindert wird, finanziell für die Eltern und Großeltern aufkommen zu müssen. Als eine Art Ausgleich erhalten sie nach deren Ableben das im Laufe des Lebens erwirtschaftete Vermögen. Allerdings sorgen die heutigen Erbschaften nicht mehr für einen solchen Ausgleich, sondern es werden lediglich für einen kleinen Kreis privilegierter Erben die Starbedingungen in ein sorgenfreies Leben erheblich verbessert. Die ungleiche Verteilung von Vermögen wird so nur immer weiter gefördert und weniger privilegierte Menschen bleiben zurück. Denn solange der Spitzensatz der Einkommenssteuer um ein Vielfaches höher ist als die Erbschaftsbesteuerung, bleibt die Chance, durch die eigene Leistung ein großes Vermögen aufzubauen, gering. Die Ungleichheit zwischen den Generationen, aber innerhalb einer Generation wird durch all das nur verstärkt.
Womit haben die wenigen privilegierten Erben den plötzlichen Geldsegen verdient, wenn andere viel weniger oder nichts bekommen oder sogar vor einem überschuldeten Erbe stehen? Ist es gerecht, wenn die Abstammung wichtiger ist als die eigenen Taten, und jahrelange Arbeit kaum noch zu einem Reichtum führen kann, der mit großen Erbschaften vergleichbar ist?
Um eine echte Chancengleichheit zu schaffen, wird deshalb ein Staatserbe für alle diskutiert. Jede/r Deutsche soll zum 18. Geburtstag vom Staat eine feste Summe (20.000 €) ausgezahlt bekommen, die als Startkapital für die berufliche und finanzielle Zukunft dient. Damit könnte eine gute Ausbildung der jungen Erwachsenen finanziert werden, sodass bis zumindest beim Thema Berufseinstieg die Voraussetzungen aller angeglichen werden – unabhängig von der sozialen Herkunft. Somit würde sowohl die Generationengerechtigkeit gefördert, als auch ein finanzieller Ausgleich innerhalb der nächsten Generation geschaffen. Das Projekt des Staatserbes könnte durch eine effektive Besteuerung der Superreichen finanziert werden. Wie die Einzelheiten dieses Konzepts aussehen sollen – beispielsweise ob auch Menschen über 18 das Staatserbe erhalten können oder ob die Höhe abhängig vom elterlichen Einkommen sein sollte – muss natürlich auf politischer Ebene entschieden werden. Wichtig ist allerdings, dass die Debatte weiter offen und lösungsorientiert geführt wird, damit das deutsche Erbrecht in Zukunft einen größeren Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leistet und das Versprechen der freien Marktwirtschaft wieder Realität wird.